😊 …Moin Moin… 😊
Diesen Monat wieder völlig außerhalb des Zeitplans, aber euer Warten hat sich gelohnt. Heute konnte ich eine tolle Person für den Gastbeitrag gewinnen. Angela habe ich innerhalb des cowrokland-Netzwerks kennen und schätzen gelernt. Nach zwei Bränden und einem Burnout hat sie sich mit ihrem Mann wieder zurückgekämpft und will nun nochmal ihrem Gasthaus in Blunk neues Leben einhauchen. Und wie Slowfood und coworking gemeinsam funktioniert, lest ihr hier:
Angela Schulze-Hamann
Bis Mai 2019 hat Angela Schulze-Hamann täglich in der Küche ihres Landhauses Schulze-Hamann in Blunk nach dem
Grundsatz „gut – sauber – fair“ gekocht und ihr eigenes Netzwerk aus 37 Produzenten und Erzeugern aus kleinbäuerlichen Strukturen aufgebaut. Im April 2019, wenige Wochen nach dem 100-jährigen Jubiläum, erhielt sie den Nachhaltigkeitspreis des Landes Schleswig-Holstein. Nach 36 erfolgreichen Geschäftsjahren hat sie sich aufgrund der Auswirkungen eines Brandes im Betrieb am zur Aufgabe der Gastronomie entschieden.
Seitdem arbeitet sie fast nur noch administrativ, aber nicht weniger leidenschaftlich für das Coworking,an der Umsetzung der Slow-Food-Grundsätze und engagiert sich im Feinheimisch-Netzwerk.
„Eine Veränderung der Lebens- und Arbeitswelt ist in meinen Augen dringend notwendig und ich möchte diese Tatsache aufgrund meines Alters einmal aus meiner Sicht beleuchten.
Zu meiner Person ist zu sagen, dass ich mit großer Leidenschaft 36 Jahre ich mit meinem Mann Stephan (beide Jg. 1954) unser seit über hundert Jahren in Familienbesitz befindliches Gasthaus in Blunk erfolgreich geführt habe. Vorher ließen wir uns unabhängig voneinander die Gastrowelt im In- und Ausland um die Nase wehen. Wir wussten so ziemlich genau, was wir konnten und wollten. Dem bevorstehenden Generationswechsel mit seinen sicherlich aus der Natur der Sache heraus anstehenden Problemen stellten wir uns offen.
Wir bildeten Köch:innen, Hotelfachleute und Hauswirtschafter:innen aus und stellten weitere Mitarbeitende ein. Klar war für uns beide auf jeden Fall, den Betrieb auch weiterhin auf gesunde Füße zu stellen und mit frischem Wind in die Zukunft zu führen. Zu Spitzenzeiten waren wir für 15 – 18 Mitarbeitende verantwortlich.
Schon damals -1983- verfolgten wir das Ziel, andere Maßstäbe in der gastronomischen Arbeitswelt zu schaffen. Wir haben von vornherein (damals noch lange nicht gang und gäbe) die Arbeitswelt mit anderen Augen betrachtet, nicht zuletzt durch persönlich gemachte negative Erfahrungen. Sofort führten wir die 5-Tage Woche und schafften auch den natürlichermaßen unbeliebten Teildienst ab.
Neben übertariflicher Bezahlung war es für uns selbstverständlich, Mitarbeitenden auch zwei Wochen Urlaub in der Sommerzeit zu gewähren und sie sowohl an Weiterbildungsmaßnahmen in anderen Betrieben als auch Seminaren im Haus mit externen Referenten teilnehmen zu lassen. Alle schienen happy, drei heute erwachsene Kinder waren und sind unser i-Tüpfelchen zum Glück. Alles unter einem Dach- einfach genial.
Im Übrigen bin ich ja als ältestes von vier Kindern in unserem damaligen Landgasthof mit Landwirtschaft groß geworden und habe sehr früh dieses Hand-in-Hand-Arbeiten der Generationen mitbekommen. Und natürlich auch, wie die Arbeit sich immer auf’s Neue veränderte. Vom Kühe melken bis zu deren Abschaffung und wie aus dem Stall unser Restaurant wurde. Ebenso wie toll es meine Mutter fand, nicht mehr Kirschen pflücken gehen zu müssen, sondern diese schon entsteint und vorgekocht im Glas kaufen zu können. Die manuelle Arbeit in den 1960ern entkoppelte sich immer mehr vom Menschen, die Industrialisierung vollzog ihren Einzug auch in unsere Küche.
Mitarbeitende gab es damals genug, sie kamen größtenteils aus den umliegenden Dörfern. Bis Mitte der 60er fand in unserem Hause irgendwie alles statt. Als Ort für Kinovorstellungen, Friseurtermine, die üblichen Dorffeste, Skatrunden und diverse Stammtische, heute würde man sagen Netzwerktreffen, fungierte unser Gasthaus als Stätte sozialer Begegnung/Integration und trug maßgeblich zur kulturellen Identität bei. Somit wurden regionale Wertschöpfungs- kreisläufe gestärkt.
Auf jeden Fall waren mein Mann und ich trotz sehr viel Arbeit total erfüllt und zufrieden mit unserem Handeln und Tun. Unser Leben war mit Sinn und Zweck, heute würde man es Purpose nennen, ausgestattet. Die Familie war gesund, wir wurden stark von unseren Eltern unterstützt, hatten tolle Mitarbeitende und viele zufriedene Gäste.
Klingt fast wie im Roman (Märchen) !
Natürlich investierten wir auch kräftig, um selbstverständlich vorwärts zu denken, getreu der Devise „Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit“. Nach einem Bankenwechsel und vielen nicht so angenehmen Begebenheiten, die neue Bank war nämlich außerordentlich großzügig mit Angeboten, ich bekam den Spruch zu hören: „Frau Schulze-Hamann, nicht kleckern sondern klotzen, passt zu Ihnen“, zog diese sich allerdings schnell aus der Affäre, als es Ende der 1990er in der gesamten Wirtschaft eng wurde.
Wir machten immer weiter, total unbeirrt funktionierten wir und es war kein Entrinnen aus dem Hamsterrad in Sicht.
Für unsere Kinder und auch Mitarbeitende muss es eine schreckliche Zeit gewesen sein, die tiefe Wunden hinterlassen hat. Und so mussten auch wir uns Anfang der 2000er Jahre einige Sinnesfragen stellen.
Schon damals habe ich mich für die Eigenverantwortung der Mitarbeitenden ausgesprochen und Ihnen schonend beigebracht, dass sie nicht nur Leistungsempfänger sind, sondern ebenfalls mitverantwortlich für ihre Position.
Ich bin der Auffassung, dass ein Unternehmertum in jedem von uns steckt, es muss nur entzaubert werden.
Der allgemeine Trend, dass Arbeit neu definiert werden musste, hatte auch vor unserer Tür nicht halt gemacht. Die drei „F“s, Familie, Freizeit, Freunde bekamen einen höheren Stellenwert als der Job. Außerdem bestand das Streben darin, möglichst unabhängig und doch sinnerfüllt tätig zu sein mit mehr Zeit, das Leben zu genießen. Total verständlich – hatten doch Kinder und Mitarbeitende miterlebt, wohin Stress und Zeitnot uns gebracht hatten.
Der Arbeitsmarkt hatte sich indessen auch umgekehrt, Arbeitswillige konnten sich ihre Arbeitgeber aussuchen. So mussten auch wir uns entsprechende Gedanken um unsere Ausrichtung machen. Wir stellten im übertragenen Sinne das Haus einmal auf den Kopf, wir durchleuchteten alle Bereiche und drehten an allen möglichen Stellschrauben. Aus der Logik der Sache heraus führten wir nach und nach auf allen Ebenen die Nachhaltigkeit ein. Der Start war im Food-Bereich.
Wir traten 2007 gleich in den gerade neu gegründeten Verein „Feinheimisch- Genuss aus Schleswig-Holstein e.V.“ ein, wurden Unterstützer der NGO „Slow Food Deutschland e.V.“ und schlossen uns weiteren Organisationen an, folgend dem Grundsatz „gut, sauber, fair – Genuss und Verantwortung für Mensch, Tier und Umwelt“.
Unsere Speisekarte offerierte nicht mehr immer alles, wir führten konzentrierte Öffnungs- und Arbeitszeiten ein. Somit gewannen wir auch mehr Zeit für uns persönlich und andere schöne Dinge. Unter diesen Vorzeichen fühlte ich mich sehr wohl und entwickelte eine unglaubliche Energie für das kleine 1×1 eines zufriedenen Lebens. Hier meine sämtlichen Aktivitäten aufzuführen, würde jeglichen Rahmen sprengen. Sei nur noch erwähnt, dass durch mein Engagement Blunk im Jahre 2014 zur kleinsten Fairtrade-Gemeinde Schleswig-Holsteins wurde.
Wir zeigten und tun dies heute nach wie vor, dass die direkte Zusammenarbeit mit einem Netzwerk aus kleinen Lebensmittelerzeugern aus Schleswig-Holstein (37 Betriebe) ökologische, ökonomische und soziale Vorteile für alle Beteiligten bringt.
Durch die Verarbeitung regionaler, nachhaltig erzeugter hochwertiger Lebensmittel reduzierten wir Transportwege und somit Emissionen und Energieverbrauch.So wird Wertschöpfung durch Wertschätzung vom Acker auf den Teller mit motivierten Mitarbeitenden entlang der gesamten Wertschöpfungskette ermöglicht.
Alles lief soweit rund. Bis es 2018 und 2019 zu zwei folgenschweren Bränden im Wirtschaftsbereich kam, beide verursacht durch Selbstentzündung von gewaschener und getrockneter Küchenwäsche, was sehr ungewöhnlich klingt, aber nicht ist (siehe u.a. www.bgetem.de).
Nach dem 2. Brand im Mai 2019 erlitt ich einen kompletten Burnout und begab mich für sechseinhalb Monate in eine stationäre Therapie. So beschlossen wir im Herbst 2019, den Betrieb nicht wie voher weiterzuführen. Was für eine Fügung. Wenige Wochen später brach die Pandemie aus, die bekanntermaßen zu einer empfindlichen Störung unserer globalisierten Weltgesellschaft führte.
Und dann der mittlerweile so präsente Klimawandel und der verheerende Krieg in Europa, die uns zum täglichen Um- und Neudenken auffordern.
Wir befinden uns in der größten Krise der Menschheit in diesem Jahrhundert, Fortschritt und Zukunft müssen neu definiert werden. Ein Zurück in die Welt vor Corona gibt es nicht. Wenn wir bestehen wollen, müssen wir unter dem Diktat der globalen Krisen gemeinsam unser Leben ändern.
Es gilt, neue Lebens- und Verhaltensformen zu entwickeln für die Zukunft.
Seit 2020 führen wir unseren Betrieb als Hotel garni, im September 2021 haben wir in den ehemals gastronomisch genutzten Räumen einen Coworkingspace eingerichtet, sind Mitglied in der CoWorkLand e.G. .
Wir sind gespannt, welche Herausforderungen das Leben noch für uns bereit hält. Sind doch Krisen auch immer Chancen. Wir müssen verstehen, dass alles mit allem zu tun hat und wir nur diesen einen wunderbaren, mittlerweile so schutzbedürftigen Planeten haben. Packen wir gemeinsam die Zeitenwende in der neuen Arbeits- und Freizeitwelt an, damit wir eine enkeltaugliche Erde hinterlassen können. Jeder noch so kleine Schritt zählt und lässt die so notwendige Transformation als ein Geschenk der Natur erscheinen. Sie wird jedenfalls Sieger sein. Wir müssen unsere Kräfte bündeln hin zu einer resilienteren Zukunft im Einklang mit Mensch, Tier und Umwelt. Wir stehen vor einer neuen Entwicklungsstufe der Arbeitsgesellschaft. Ihre Währung sind Werte, Lebensqualität, Solidarität und Sinn.
Machen wir uns hierbei zu nutze, was uns von Maschinen unterscheidet: Kreativität, Empathie und Neugier.
Die Gemeinwohlökonomie ist dringend in allen Bereichen erforderlich. Hören wir auf die berechtigten Forderungen der Friday-for-future Generation nach erfülltem Handeln und Tun im Einklang mit der Natur.
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